Wenn in der Gemeinde Rastede am kommenden Sonntag ein neuer Bürgermeister gewählt wird, dürfen 1577 Einwohnerinnen und Einwohner zum allerersten Mal ihre Stimme abgeben. Die jüngsten von ihnen haben erst in den Tagen zuvor ihren 16. Geburtstag gefeiert. Mit drei dieser jungen Menschen hat die Gemeindeverwaltung über ihre bevorstehende Wahl-Premiere gesprochen.
Niedersachsen war 1996 das erste Bundesland, das das Mindestalter bei Kommunalwahlen herabgesetzt hat. Bis zur letzten Abstimmung auf kommunaler Ebene 2016 durften 16-Jährige hier also bereits fünf Mal an die Wahlurnen treten, hinzu kam im Ammerland die Landratswahl 2014. Und doch ist die Regelung kaum bekannt: Für zwei der drei Jugendlichen kam die Wahlbenachrichtigung ziemlich unerwartet. „Bis dahin habe ich gar nicht gewusst, dass ich an der Wahl schon teilnehmen darf“, berichtet Reyk Nissen. Er wird am Sonntag der jüngste Rasteder Erstwähler sein. Erst am Freitag, also zwei Tage vor der Abstimmung, vollendet er sein 16. Lebensjahr.
Auch Victoria Furche sagt: „Als die Wahlbenachrichtigung kam, hatte ich gar nicht damit gerechnet.“ Einzig für Morlyn Kobbe, die dritte Erstwählerin im Bunde, war der Brief mit der Aufschrift „Eilige Wahlsache“ keine allzu große Überraschung – das dürfte allerdings nicht zuletzt daran liegen, dass ihr Vater im Rathaus arbeitet. „Wir hatten in der Familie bereits über die Wahl gesprochen“, sagt Morlyn. Sie und Victoria haben zufällig sogar am selben Tag Geburtstag, beide wurden am vergangenen Mittwoch 16 Jahre jung.
In Deutschland ergibt sich beim Wahlalter ein ziemlich uneinheitliches Bild: Zehn Bundesländer folgten bis heute dem Beispiel Niedersachsens. In Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein dürfen die 16-Jährigen nicht nur auf kommunaler, sondern auch auf Landesebene mitbestimmen. In fünf Bundesländern – nämlich Bayern, Sachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen – gilt bei sämtlichen Wahlen das Mindestalter von 18 Jahren.
Unsere drei Rasteder Erstwähler jedenfalls sind froh darüber, dass sie am Sonntag ein Wörtchen mitzureden haben, wenn es um das neue Gemeindeoberhaupt geht. „Es ist wichtig, dass wir mitbestimmen dürfen“, sagt Morlyn, „schließlich geht es auch um unsere Zukunft.“ Das findet auch Reyk. Und obwohl er im Großen und Ganzen zufrieden ist, wie er sagt, gibt es auch Dinge, die seiner Meinung nach verbessert werden können: „Mehr Freizeit-Angebote für Jugendliche wären nicht schlecht“, sagt er, „und der Klimaschutz ist mir wichtig.“
Letzteres sieht Victoria genauso. Dazu sollte sich der neue Gemeindechef ihr zufolge aber auch für bezahlbaren Wohnraum einsetzen. Dieser Wunsch kommt nicht von ungefähr: „Meine Familie hat vor einigen Jahren selbst erlebt, wie schwer es ist, eine passende Wohnung zu finden.“ Ebenso wichtig ist der Schülerin, dass ein Bürgermeister „keine leeren Versprechungen“ gibt: „Wenn nicht klar ist, ob er etwas erreichen kann, dann sollte er damit offen umgehen und einfach sein Bestes tun.“
Berührungspunkte zwischen den drei Erstwählern und den vier Bewerbern um das Amt des Bürgermeisters gab es während der letzten Wochen kaum. „Von einem Kandidaten habe ich einen Brief bekommen, von einem anderen einen Flyer“, berichtet Morlyn. Reyk ist einem der zur Wahl stehenden in der Schule begegnet, als dort eine Podiumsdiskussion mit Kandidaten für das EU-Parlament stattfand. Wenn es darum ging, sich ein Bild von Persönlichkeit und Positionen zu machen, griffen alle drei auf das Internet zurück. Die Berichterstattung in den Printmedien erreichte sie nicht – selbst wenn abonnierte Tages- oder kostenlose Monatszeitung im Haushalt verfügbar gewesen wären. Auch bei den beiden Podiumsdiskussionen im Akademiehotel waren unsere Erstwähler nicht zugegen. Zur Informationsquelle Internet kam meist nur noch der Austausch innerhalb der Familien und mit Freunden in der Schule hinzu.
Apropos Schule: Dort sind die Organe der Europäischen Union gerade Unterrichtsthema in seiner Klasse gewesen, erzählt Reyk. „Aber welche Einflussmöglichkeiten der Bürgermeister einer Gemeinde ganz konkret hat, haben wir soweit ich mich erinnere nie behandelt“, sagt der Gymnasiast. Eine entsprechende Ergänzung im Lehrplan wäre vielleicht sinnvoll – schließlich dürfen einige Schüler den Bürgermeister bereits mitbestimmen, an der Wahl der EU-Parlamentarier aber in aller Regel nicht teilnehmen.